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Autorenbildkakikunst

Der kleine Baron und der Apfelbaum

Aktualisiert: 15. Okt. 2022

Eine kurze Geschichte für kleine Kinder über Klatsch und Tratsch, Neugier und Gruppendynamik ... Es ist spannend, was kleine Kinder auf die Frage antworten, was der kleine Baron am Ende der Geschichte weiß ...


Der kleine Baron und der Apfelbaum


„Ich weiß es!“


Erschrocken zuckte der kleine Baron zusammen.

„Ich weiß es!“, hörte er es erneut rufen.


Bis auf den Apfelbaum, an dessen Fuß er eben noch gesessen hatte, war nichts und niemand zu sehen.

Der kleine Hügel unter seinen Füßen bot eine gute Aussicht, doch er konnte nichts entdecken, was ein Versteck geboten hätte.


„Ich weiß es!“


Klar und deutlich hörte der kleine Baron die piepsige helle Stimme. Vielleicht war sie von einer Elfe?

Frau Engelbert sagte immer, Elfen, Trolle und Hexen gäbe es nicht. Das sei alles Humbug. Vielleicht gab es sie ja doch?

Neugierig hob er den Kopf.


Über ihm blitzten die Strahlen der Nachmittagssonne durch die Äste des blühenden Apfelbaumes. Doch auch dort war niemand zu sehen.

„Ich weiß es!“


„Ich weiß es auch!“, vernahm er plötzlich eine weitere piepsig-helle Stimme.

„Was?“, platzte es aus dem kleinen Baron heraus.


Aufgeregt lief er um den Stamm des Apfelbaumes herum, während er seinen Kopf weit in den Nacken legte.


„Ich weiß es!“

„Ich auch!“

Immer mehr Stimmen vernahm der kleine Baron. Sie mussten aus der Apfelbaumkrone kommen.


„Ich weiß es!“


„Ich auch!“

„Ich auch!“


Die piepsigen Stimmen wussten etwas, von dem der kleine Baron nicht wusste, was es war. Er wusste auch nicht, wie viele es waren, die es wussten. Aber sie wussten es. Das konnte er dem Klang der Stimmen eindeutig entnehmen.

„Was?“, rief er ungeduldig in die Apfelbaumkrone hinein.


„Ich weiß es!“


„Ich auch!“


„Ich weiß es auch!“


„Ich auch!“


Nun wurde der kleine Baron wütend. Fest kniff er die Augen zusammen, so dass er jedes noch so kleine Detail der Apfelbaumkrone gestochen scharf sehen konnte.

Und tatsächlich.

In der Mitte einer Apfelbaumblüte saß ein kleiner Zwerg. Und dort inmitten einer anderen Apfelbaumblüte entdeckte er einen weiteren. Und noch einen. Und noch einen. In jeder Blüte saß ein winziger Zwerg.


Es waren genau solche Zwerge, wie er sie aus den Vorgärten der ewig langen Reihen von immer gleich aussehenden Häuschen kannte. Nur eben winzig klein.


Die Zwerge kicherten und jauchzten, schauten ihn von oben herab an und wussten es.


Die Hand des kleinen Barons war mindestens drei mal tausend Mal größer als diese kleinen Zwerge. Mühelos hätte er jeden einzelnen zerquetschen können. Doch die Äste des Baumes waren eine gute Armlänge von ihm entfernt, und er hätte wohl hinaufklettern müssen, um einen von ihnen zu erwischen. Und wer weiß schon, ob so viele kleine Zwerge gemeinsam nicht doch stärker wären als ein kleiner achtjähriger Baron.


So entschied er sich, seinen Zeigefinger auf einen von ihnen zu richten.


Der kleine Zwerg, auf den er zeigte, sah aus wie ein typischer Gartenzwerg. Mit einer rot polierten Mütze, einem langen weißen Bart und einer blauen Latzhose mit einer großen Tasche vor der Brust, aus der ein Gänseblümchen ragte.


„Was weißt du?“, rief der kleine Baron mit einer Stimme, von der er glaubte, dass sie den kleinen Zwerg zur sofortigen Antwort zwingen würde.


Der Zwerg hingegen schaute ihn nur frech an und grinste: „Ich weiß es!“


„Ich weiß es auch!“, rief es sofort von einer anderen Blüte herab.


„Ich auch!“


„Ich weiß es auch!““


„Sag mir sofort, was du weißt, sonst schüttel ich den Baum!“, drohte der kleine Baron dem Zwerg, auf den sein Zeigefinger noch immer gerichtet war.

Der kleine Zwerg grinste unbeeindruckt weiter.

„Sag mir, was du weißt!“, forderte er nochmals eindringlich.


„Was!“, rief der winzige Zwerg.

„Was?“, fragte der kleine Baron.


„Ja, was!“, rief der winzige Zwerg.


„Ja, was?“, fragte der kleine Baron.


„Was es ist!“, rief der winzige Zwerg.


„Was es ist?“, fragte der kleine Baron.


„Ich weiß es!“


„Ich weiß es!“

„Ich weiß es auch!“

„Ich auch!“


„Ich auch!“


„Ich weiß es auch!“


Der kleine Baron konnte sich nun nicht mehr zurückhalten und brüllte, so laut er konnte, in die Apfelbaumkrone hinein: „WAAAAS?“


„Kleiner Baron!“, drang plötzlich die Stimme von Frau Engelbert in sein Ohr, die besorgt über die Wiese auf ihn zugerannt kam. „Was schreist du denn so rum?“


Der kleine Baron zuckte zusammen.


„Schau nur““, rief er und zeigte aufgeregt in die Apfelbaumkrone hinein. Frau Engelbert würden die Zwerge sicher sagen, was sie wussten.


Doch alle Zwerge hatten sich bereits vor Frau Engelbert versteckt und schienen verschwunden zu sein. Enttäuscht ließ der kleine Baron seine Hand sinken und neigte traurig den Kopf.


„Was hast du denn?“, fragte Frau Engelbert besorgt und strich ihm über die zerzausten Haare.


„Ach, alle wissen etwas, und alle wissen, was es ist. Nur ich nicht. Und jetzt sind alle verschwunden, ohne dass ich weiß, was sie wissen“, seufzte er.


„Ach was!“, sprach Frau Engelbert tröstend auf ihn ein. „Das ist doch Pustekuchen!“

Der kleine Baron brauchte eine Weile, bis er die Worte verstand.


„Danke, Frau Engelbert!“, rief er strahlend, schnappte seinen Rucksack und rannte los.


Von diesem Tag an wusste der kleine Baron, was die Zwerge in der Krone des Apfelbaums wissen.


Und jetzt weißt Du es auch.


Erstveröffentlichung am 07. Mai 2019: Hier


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